Aktuelle Rechtsprechung zur Bezahlkarte

In der Ausgabe 2024/02 berichteten wir über den aktuellen Stand zur Umsetzung der Bezahlkarte in Thüringen und der menschenrechtsbasierten Kritik daran.

Die Ministerpräsident*innen-Konferenz hatte sich im Oktober 2023 auf die bundesweite Einführung einer Bezahlkarte zur Leistungsgewährung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz verständigt. Am 26. September 2024 gab der Anbieter Publ°k GmbH bekannt, dass er mit der Umsetzung der Bezahlkarte beauftragt wurde. Publ°k GmbH ist ein Zusammenschluss von Secupay, Publik, Visa, SAP, Nortal und Giesecke+Devrient (weitere Informationen zum Unternehmen: https://publk.de/).

Der vorliegende Artikel gibt einen Einblick in die bisherige Rechtsprechung zur Umsetzung der Bezahlkarte und zeigt Perspektiven für die Beratung.

Die 50-Euro-Bargeldpauschale ist im Einzelfall rechtswidrig

In vielen Kommunen wird von den Leistungen nach dem AsylbLG ein pauschaler Betrag in Höhe von 50 € pro leistungsberechtigter Person in Bargeld ausgezahlt. In der bisherigen Rechtsprechung wurde dieser Aspekt als rechtswidrig eingeordnet. In Eilverfahren stellten sowohl das Sozialgericht Hamburg wie auch das Sozialgericht Nürnberg fest, dass die Sozialleistungsbehörde die Situation des Einzelfalls, also der persönlichen Lebenssituation der Betroffenen, berücksichtigen und Ermessen ausüben müsse. Das heißt, das entsprechende Sozialamt muss prüfen.

Der Anwalt hatte zur Begründung des Eilantrags vorgebracht, die Ausübung des Ermessens sei zwingend damit verbunden, dass die Entscheidung sich nach den örtlichen Besonderheiten und unterschiedlichen Lebenslagen richte und damit insbesondere auch in der Person der Leistungsberechtigten liegende Besonderheiten
(z. B. Alter, Behinderung, Krankheit, Alleinerziehendenstatus) berücksichtige; mithin sei eine Einzelfallentscheidung erforderlich. (vgl. Beschluss SG Nürnberg S 11 AY 15/24 ER)

In der Praxis erhalten Asylbewerberleistungsempfänger*innen oftmals die Bezahlkarte und ein Informationsblatt zur Nutzung der Karte. Bei der Ausübung des Ermessens müsste die Sozialleistungsbehörde einen neuen Bescheid erlassen und in diesem begründen, warum die Höhe der Bargeldleistungen der Lebenssituation angemessen ist. Der Verwaltungsaufwand dafür wäre enorm.

Der Rechtsbeistand der Klägerin im Verfahren vor dem SG Nürnberg zeigte insbesondere auf, dass durch die Einschränkung auf die Bezahlkarte viele Möglichkeiten zur Teilhabe am kulturellen Leben und günstige Einkaufsmöglichkeiten, z. B. Flohmärkte und Kleinanzeigenangebote, nicht genutzt werden können. Die Leistungsbehörde muss in diesem Fall ihr Ermessen ausüben und prüfen, ob die Höhe der Sozialleistungen den tatsächlichen Bedarfen entspricht.

Im Beschluss führt das Sozialgericht Nürnberg aus: „Die Notwendigkeit der Ermessensausübung im Einzelfall [ist…] im Wortlaut des § 3 Abs. 3 AsylbLG angelegt und
[entspricht…] dem Willen des Gesetzgebers“. Daher seien bei der Umstellung der Leistungsgewährung von frei verfügbaren Geldleistungen die eingeschränkten Möglichkeiten mit der Bezahlkarte zu berücksichtigen.

Das Sozialgericht Hamburg entschied im Eilverfahren mit Beschluss SG Hamburg S7 AY 410/24 ER vom 18. Juli 2024, dass die Sozialleistungsbehörde den Bargeldbetrag nach individueller Prüfung der Verhältnisse des Einzelfalls festzulegen habe.

Am 17.09.2024 hat mittlerweile das Landessozialgericht Hamburg den Beschluss im Eilverfahren aufgehoben. Allein durch die Begrenzung der Verfügbarkeit von Bargeld läge kein wesentlicher Nachteil vor (LSG Hamburg: Beschluss vom 17.09.2024 – L 4 AY 11/24 B ER).

Die Rechtsprechung zum Thema Leistungsgewährung durch die Bezahlkarte ist dynamisch und muss weiter verfolgt werden.

Rechtsschutzmöglichkeiten

In einer Informationsveranstaltung im August 2024 stellte Rechtsanwalt Volker Gerloff mögliche juristische Schritte gegen die pauschale Leistungsgewährung durch die Bargeldpauschale vor.

Grundsätzlich müsse in der Beratung geprüft werden, ob es sich beim vorliegenden Bescheid um einen Dauerverwaltungsakt oder jeweils um einen monatlich neuen Bescheid handle. Die Sozialbehörde müsse mit der Ausreichung der Bezahlkarte individuell prüfen, ob in der Situation der Betroffenen mit der Bezahlkarte eine bedarfsgerechte Versorgung möglich sei oder durch die Karte zusätzliche, nicht in den Bedarfsstufen vorgesehene Mehrkosten entständen. Die Behörde müsse Ermessen ausüben und eine nachvollziehbare Einzelfallentscheidung treffen. Das öffentliche muss gegen das private Interesse abgewogen werden.

In der Beratung können verschiedene Rechtsschutzmöglichkeiten besprochen werden:

Liegt ein Verwaltungsakt (zumeist ein schriftlicher Bescheid) vor, gilt die in der Rechtsschutzbelehrung genannte Widerspruchsfrist. Im Widerspruchsverfahren vor dem zuständigen Sozialgericht wird geklärt, ob das Ermessen ausgeübt wurde und das Ergebnis den Bedarfen nach dem Existenzminium entspricht.

Ist die Rechtsmittelfrist bereits abgelaufen, besteht die Möglichkeit eines Überprüfungsantrags nach § 44 SGB X.

Beim Widerspruch bzw. Überprüfungsantrag muss geprüft werden, ob begleitend ein Eilantrag gestellt wird. Dafür müssen ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund vorliegen. In diesem Antrag muss detailliert aufgeführt werden, welche Nachteile durch die Bezahlkarte und entsprechende Mehrkosten oder Ausschlüsse vom soziokulturellen Existenzminimum entstehen,
z. B., welche Überweisungen nicht möglich waren, welche Läden die Karte nicht akzeptierten, welche Fahrtkosten entstanden, welche Angebote die Kinder nicht mehr nutzen konnten.

Das Verfahren vor dem Sozialgericht ist gerichtskostenfrei, bei Hinzuziehung eines Rechtsbeistands kann Prozesskostenhilfe beantragt werden.

Die rechtliche Auseinandersetzung mit der Bezahlkarte steht noch ganz am Anfang.

Weiterführende Informationen:

PRO ASYL (09.10.2024): „So läuft das nicht: Die lange Liste der Probleme mit der Bezahlkarte“. Abrufbar unter: https://www.proasyl.de/news/so-laeuft-das-nicht-die-lange-liste-der-probleme-mit-der-bezahlkarte/

netzpolitik.org e. V. (07.10.2024): „Die Probleme hören nicht mit der Vergabe auf“. Abrufbar unter: https://netzpolitik.org/2024/bezahlkarten-die-probleme-hoeren-nicht-mit-der-vergabe-auf/#netzpolitik-pw

Gesellschaft für Freiheitsrechte (o. A.): „Mit der Bezahlkarte unter das Existenzminimum“. Abrufbar unter: https://freiheitsrechte.org/themen/gleiche-rechte-und-soziale-teilhabe/bezahlkarte