Das gerichtliche Asylverfahren – BLEIBdran+ fragt Elke Heßelmann

Das gerichtliche Asylverfahren ist für viele Menschen, die mit Geflüchteten arbeiten, eine Blackbox. Wir freuen uns daher sehr, dass Elke Heßelmann, ehemalige Präsidentin des Verwaltungsgerichts (VG) Weimar und ehemalige Verfassungsrichterin, uns unsere wichtigsten Fragen beantwortet hat!

In der Vorbereitung des Termins ist es wichtig, alle Papiere, Ausweisdokumente und Unterlagen, die die Verfolgung belegen könnten, und gegebenenfalls ärztliche Atteste vorzulegen. Alle Unterlagen müssen so schnell wie möglich vorgelegt werden, also wenn vorhanden, bereits beim BAMF. Verzögerte Vorlage spricht immer gegen die Glaubwürdigkeit der Klagenden.

Die Kläger*innen sollten unbedingt pünktlich erscheinen. Der Vortrag der Kläger*innen in der mündlichen Verhandlung ist entscheidend, er muss vollständig sein und darf sich nicht auf allgemeine Floskeln über die Zustände in dem Herkunftsland beschränken. Er darf nicht im Widerspruch zu dem Vortrag vor dem Bundesamt stehen. Soweit Online-Zugangsdaten über die Verfolgung im Heimatland zur Verfügung stehen (z. B. Türkei), müssen diese in der mündlichen Verhandlung vorliegen.

Für den Nachweis von Erkrankungen, die der Abschiebung entgegenstehen, bedarf es konkreter ärztlicher Atteste.

Paragraf 60 Abs. 7 AufenthG besagt, dass eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, vorliegt: „Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist.“

Die Gerichte verlangen überdies, insbesondere bei psychischen Erkrankungen, ein fachärztliches Attest, in diesem Fall das Attest eines Psychiaters. Zudem gibt es für jedes Land zahlreiche Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes. Richter*innen können diese Auskünfte eingesehen. Sie sind z. T. auch im Internet einsehen.

Das Gericht muss sich letztlich zumindest die Überzeugung bilden, dass traumatische Erlebnisse geschehen sind und hierdurch die Fähigkeit, vollständig vorzutragen, eingeschränkt ist.

Im Falle des Verdachts sexualisierter Gewalt kann es hilfreich sein, wenn Ehefrauen ohne den Ehemann vortragen können. Der Ehemann hat aber bei einem gemeinsamen Verfahren einen Anspruch auf Anwesenheit. Es sollte dem Gericht signalisiert werden, wenn eine solche Konstellation besteht. Eine Abklärung im Vorfeld wäre ebenfalls gut. Insgesamt sind das sehr schwierige Fragen.

Im asylrechtlichen Eilverfahren ist grundsätzlich der*die Einzelrichter*in zuständig, es sei denn, es wird eigens auf die Kammer übertragen. In klassischen Verfahren entscheidet die Kammer durch drei Berufsrichter*innen.

Im asylrechtlichen Hauptsacheverfahren entscheidet ebenfalls in fast allen Fällen der*die Einzelrichter*in. Hier bedarf es zwar eines Übertragungsbeschlusses, aber es entspricht der Üblichkeit. Insgesamt ist damit die Entscheidungsbefugnis des*der Einzelrichter*in im Asylrecht stärker ausgeprägt.

In der mündlichen Verhandlung erscheint für die Beklagtenseite, das BAMF, in aller Regel kein Vertreter. Von der Gerichtsbarkeit ist dies schon mehrfach kritisiert worden. Das BAMF bemüht sich nun um Entsendung eines Vertreters.

Der Ausgang des Verfahrens hängt oft entscheidend von den Aussagen des*der Kläger*in ab. Im Asylrecht ist es daher entscheidend, ob das Gericht, also der*die einzelne Richter*in die Aussagen für glaubhaft hält. In klassischen Verfahren geht es meist um Rechtsfragen.

In Eilverfahren gibt es keine Beschwerde an das OVG. Ist die Klage im Hauptsacheverfahren als offensichtlich unzulässig oder unbegründet abgelehnt worden, ist das Urteil ebenfalls unanfechtbar. Es bleibt allenfalls eine Verfassungsbeschwerde. In anderen Asylverfahren kann die Zulassung der Berufung bei dem Oberverwaltungsgericht durch einen Anwalt oder sonst zugelassene Prozessvertreter beantragt werden.

„Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn:
1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, … oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3. ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.“ (§ 78 AsylG)

Gibt es schon Grundsatzentscheidungen zu dem Herkunftsland, ist die Hürde extrem hoch.

Bei dem Verwaltungsgericht, also in der 1. Instanz, können Asylkläger*innen auch persönlich Klage erheben, entweder schriftlich mit der Post oder per Fax. Elektronische Klageerhebung ist auch möglich, aber es dürfte an den zertifizierten Zugängen fehlen (DE-Mail usw.).
Möglich ist auch eine Klageerhebung bei der Rechtsantragsstelle des zuständigen Gerichts persönlich.

Am besten informiert man sich bei dem Gericht über die Öffnungszeiten. Zu bedenken ist, dass sich der*die Klägerin ausweisen können muss, den Bescheid vorlegt und möglichst eine Person mit Deutschkenntnissen mitbringt. Im Gericht sind außerhalb der geladenen Termine keine Dolmetscher vor Ort.

Die Mitarbeitenden der Rechtsantragsstelle sind durchaus vertraut mit den notwendigen Antragsformulierungen. Es besteht allerdings kein Rechtsanspruch auf Beratung. Einiges kann aber auch nachträglich ergänzt werden, wenn zum Beispiel anwaltliche Unterstützung gefunden ist.

Der Richterwahlausschuss setzt sich zusammen aus Mitgliedern des Parlaments und aus gewählten Richter*innen. Die Mitglieder des Parlaments müssen mit Zweidrittelmehrheit gewählt werden. Wenn der Ausschuss nicht vollständig besetzt ist, können keine Ernennungen von Richter*innen (Ersternennungen und in bestimmten Fällen auch Beförderungen) ausgesprochen werden. Allerdings bleiben die parlamentarischen Mitglieder auch nach Ende der Wahlperiode bis zur vollständigen Neuwahl des Ausschusses im Amt.

Ist der Ausschuss dennoch nicht beschlussfähig, weil nur weniger als die Mehrheit der Mitglieder anwesend ist, und hält der Zustand eine gewisse Zeit an, kommt es zu Unterbesetzungen der Gerichte, da gegenwärtig eine größere Zahl von Richter*innen in den Ruhestand geht. Die Verfahren werden noch länger dauern. Dies wirkt sich nicht nur in asylrechtlichen Verfahren aus, sondern auch auf Verfahren zur Erteilung von Baugenehmigungen, sonstige Genehmigungen, zum Beispiel im Gewerberecht, umweltrechtliche Genehmigungen für die Industrie, Landwirtschaft, Erteilung von Fahrerlaubnissen etc. Auf lange Sicht wäre die Funktionsfähigkeit der Justiz beeinträchtigt. Innerhalb des Ausschusses wird allerdings mit einfacher Mehrheit entschieden.

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