Entscheidungspraxis des Verwaltungsgerichts Gera
Asylverfahren gewinnen kaum möglich
Die Situation am Verwaltungsgericht Gera treibt uns schon lange um. Viele unserer Klient*innen berichten von schlechten Erfahrungen im gerichtlichen Asylverfahren, insbesondere in Verfahren mit Vizepräsident Dr. Bengt-Christian Fuchs.
Jetzt gibt es Zahlen, die unsere schlimmsten Befürchtungen bestätigen. Diese finden sich in einer kleinen Anfrage der Linken im Bundestag. https://dip.bundestag.de/vorgang/erg%C3%A4nzende-informationen-zur-asylstatistik-f%C3%BCr-das-erstehalbjahr-2023/302096
Natürlich sind Richter*innen unabhängig in ihren Entscheidungen. Die richterliche Unabhängigkeit ist ein hohes Gut. Problematisch ist allerdings im Asylverfahren, dass der sonst in gerichtlichen Verfahren übliche Berufungsgrund „ersthafte Zweifel an der Richtigkeit des Urteils“ im Asylverfahren entsprechend § 78 Abs. 3 AsylG nicht als Berufungsgrund zugelassen ist. Wenn wir es dann mit Richter*innen zu tun haben, die nicht sorgfältig entscheiden, gibt es kaum Möglichkeiten, dagegen vorzugehen.
Dublin-Verfahren
Italien
Die nun vorliegenden Zahlen zur Entscheidungspraxis sind extrem auffällig. Besonders schockierend waren die Dublin-Zahlen. In den Jahren 2015–2021 wurden bundesweit, sprich von allen Verwaltungsgerichten zusammen, 8.859 von 32.028 Dublin-Verfahren hinsichtlich Italien positiv entschieden, die Erfolgsquote lag bei 27,6 %. Im selben Zeitraum wurden am VG Gera 4 von 558 Dublin-Verfahren hinsichtlich Italien positiv entschieden – hier lag die Erfolgsquote bei gerade einmal 0,72 %.
Malta
Die Zahlen zu Dublin Malta sind weniger aussagekräftig, da hier lediglich 15 Verfahren vom VG Gera entschieden wurden – allesamt negativ. Auf Bundesebene wurden 146 von 403 Verfahren positiv entschieden, hier lag die Erfolgsquote bei 36,3 %.
Entscheidungen zu den Herkunftsländern
Auch bei den Entscheidungen hinsichtlich der Herkunftsländer lassen sich massive Abweichungen vom Bundesschnitt sehen. Im Abgleich mit den Geschäftsverteilungsplänen des Gerichts haben wir uns die Zahlen der kleinen Anfrage angeschaut.
Besonders auffällig sind die Zahlen bei Verfahren, für die laut Geschäftsverteilungsplan Vizepräsident Dr. Fuchs zuständig war.
Dr. Fuchs ist in der Vergangenheit nicht nur durch Urteile aufgefallen, die fast ausschließlich aus Textbausteinen bestehen und bei denen die Ablehnungsbegründung im immer selben Wortlaut erfolgte.
Ebenso wie der vorsitzende Richter der 2. Kammer und Pressesprecher des Gerichts, Bernd Amelung, wurden ihm Verbindungen zu AfD-Politiker*innen nachgewiesen. Im Buch „Rechte Richter“ von Dr. Joachim Wagner findet sich hierzu ein eigenes Kapitel.
Aber was sagen die Zahlen?
Dr. Fuchs war mit Ausnahme von 2018 in den Jahren 2014–2023 zuständig für Nigeria. In diesem Zeitraum hat er nur eins von 548 Verfahren positiv entschieden, was einer Erfolgsquote von 0,18 % entspricht. In den selben Jahren wurden bei allen Verwaltungsgerichten 2.928 von 42.786 Verfahren positiv entschieden, die Erfolgsquote lag hier also bei 6,84 %.
In den Jahren 2017–2019 war Dr. Fuchs für Eritrea zuständig. In 4 von 409 Verfahren entschied er positiv, was eine Erfolgsquote von 0,98 % ergibt. An allen Verwaltungsgerichten bundesweit lag im selben Zeitraum die Erfolgsquote bei 11,32 % (956 von 8.442 Verfahren).
Ein ähnliches Bild zeichnet sich für Äthiopien ab, wofür Dr. Fuchs im Zeitraum 2015–2019 zuständiger Richter war. In nur einem von 108 Verfahren entschied er positiv, die Erfolgsquote lag demnach bei 0,93 %. Bundesweit lag die Erfolgsquote im selben Zeitraum bei 11,7 % (700/5.982 Verfahren).
Weitere Länder, für die Dr. Fuchs zuständig war, bestätigen das Bild, dass man bei ihm praktisch keine Chance hat, zu gewinnen. Hier sind die Fallzahlen allerdings z. T. sehr gering und damit deutlich weniger aussagekräftig – dennoch geben sie in ihrer Gesamtheit ein deutliches Bild.
In den Jahren, in denen Dr. Fuchs für Libyen (2 Verfahren), Mali (2 Verfahren), Sierra Leone (11 Verfahren), Guinea (49 Verfahren), Marokko (30 Verfahren), Algerien (2 Verfahren) und den Senegal (11 Verfahren) zuständig war, hat er kein einziges Verfahren positiv entschieden.
Im Abgleich mit den Geschäftsverteilungsplänen können wir Dr. Fuchs aufgrund der kleinen Anfrage 1.172 Verfahren zuordnen – davon hat er lediglich 6 positiv entschieden (Bei den Dublin-Verfahren ist keine Zuordnung auf einzelne Richter*innen möglich.).
Die Bundestagsabgeordnete Clara Bünger, die die kleine Anfrage gestellt hat, äußert sich wie folgt: „Die Zahlen der Bundesregierung bestätigen die Berichte aus der Praxis eindrucksvoll: Offenkundig gibt es am Verwaltungsgericht Gera Asylrichter mit einer rechten Einstellung, was zur Folge hat, dass insbesondere Geflüchtete aus afrikanischen Ländern dort nahezu keine Chance auf Anerkennung haben. Das ist aus rechtsstaatlicher wie auch aus menschenrechtlicher Sicht höchst besorgniserregend.“
Der Lichtblick
In der kleinen Anfrage gibt es einen Lichtblick – und zwar für die Menschen aus Somalia. Hier sind die Entscheidungsquoten nahezu identisch mit denen bei allen Verwaltungsgerichten bundesweit.
Während 2014–2023 bundesweit 17,55 % aller Somalia-Verfahren positiv entschieden wurden (3.919 von 22.328 Verfahren positiv entschieden), waren es im selben Zeitraum am VG Gera 16,14 % (108 von 669 Verfahren positiv entschieden). Dies spiegelt die Erfahrungen der Asylrechtsanwält*innen wider.
Warum ist es wichtig, dass wir über dieses Thema sprechen?
Die Zahlen sprechen für sich. Hinter jedem Verfahren steckt ein Menschenleben. Im Asylverfahren geht es um Leib, Leben und Unversehrtheit der Betroffenen. Deshalb ist es so wichtig, dass hier in jedem Einzelfall sorgfältig entschieden wird und Vulnerabilität und Schutzbedarf erkannt wird.
Natürlich sind Entscheidungen im Asylverfahren immer Einzelfallentscheidungen – unterschiedliche Quoten müssen nicht zwingend für eine unterschiedlich restriktive Spruchpraxis sprechen. Allerdings sollten sich die Quoten beim Vergleich der Herkunftsländer oder in den Dublin-Verfahren annähern, insbesondere wenn es sich um zahlreiche Verfahren handelt, da sich hier die individuellen Besonderheiten ausgleichen sollten.
Clara Bünger sieht die Verantwortung auch bei den Bundesländern: „Auch die Bundesländer stehen in der Pflicht, dem Verdacht voreingenommener Asylurteile auf den Grund zu gehen und entsprechende Präventiv- und Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Es darf nicht sein, dass Asylsuchende quasi aus Prinzip abgelehnt und damit schlimmstenfalls in den Tod geschickt werden.“