Die Duldung light in neuem Licht

Dr. Christian Scheibenhof | Fachanwalt für Migrationsrecht

Das Aufenthaltsgesetz regelt verschiedene Ordnungsmittel, die die Ausländerbehörden nutzen können, um ausländische Menschen anzuhalten, einen Pass oder ein sonstiges Identitätsdokument zu besorgen. Am Ende können sogar Bußgelder verhängt, zwangsweise Vorführungen bei der Botschaft erwirkt oder Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abgelehnt werden. Nicht selten nutzen die Ausländerbehörden hierbei auch die Duldung „für Personen mit ungeklärter Identität“, die sog. „Duldung light“ nach § 60b AufenthG. Eine solche Duldung ist extrem nachteilig. Die Zeiten, in denen man in der Duldung steckt, gelten nicht als Voraufenthaltszeiten – man ist also rechtlich gesehen nicht in der Bundesrepublik anwesend – und jede Form von Arbeit oder sonstiger Integration ist verboten. Es geht nichts mehr. Selbst Asylbewerberleistungen sind auf ein Minimum reduziert.

Eine Duldung light kann u. a. dann erteilt werden, wenn eine Abschiebung einer ausländischen Person nur deshalb scheitert, weil sie:
einen Pass nicht besitzt und sie
zumutbare Handlungen zur Erfüllung von Passbeschaffungspflichten nicht vornimmt.

Die Ausländerbehörden nutzen genau diesen Tatbestand häufig, damit Menschen, die keinen Pass besitzen, endlich den Pass besorgen, damit sie dann abgeschoben werden können.

Das Verwaltungsgericht Weimar hat mit Beschluss vom 22.07.2024 zu diesem Tatbestand zwei ganz wichtige Schlaglichter gesetzt, die es den Ausländerbehörden sehr erschweren, eine Duldung light zu erteilen:

1. Das Gericht hat sich zunächst mit der Frage beschäftigt, wann eine ausländische Person einen „Pass nicht besitzt“ (siehe oben (b.)). Besitzt man einen Pass nur dann, wenn man ihn unmittelbar bei sich trägt, oder ihn zumindest im Zimmer der GU vorhält? Oder kann ein Pass auch weiter weg liegen? Muss die ausländische Person die Herrschaft über das Passpapier örtlich und zeitlich direkt ausüben können? Oder darf der Pass auch bei einem Freund und u. U. sogar im Ausland liegen? Das Gericht zeigt in der Entscheidung auf, dass „Besitz“ im Sinne des § 60b AufenthG jede Form von Besitz im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist.

Das BGB regelt verschiedene Besitzformen – u. a. den sogenannten „mittelbaren Besitz“. Ein Besitz ist mittelbar, wenn nicht ich persönlich die Herrschaft über ein Objekt ausübe, sondern dies eine andere Person tut. Die andere Person hat direkten Zugriff auf den Pass, ich aber kann die Person anweisen, mir den Pass zuzusenden. Ich muss die Möglichkeit haben, innerhalb einer gewissen Zeitspanne wieder die direkte Herrschaft über den Pass zu erhalten. Im konkreten Fall konnte das Gericht überzeugt werden, dass sich der Pass zuhause im Haus der Eltern des Ausländers in der Türkei befindet und postalisch recht rasch nach Deutschland geschickt werden kann. Das Gericht entschied: Das reicht aus. Ist der Pass in der Türkei im Hause der Eltern, besitzt die ausländische Person den Pass. Die Ausländerbehörde hat das Merkmal „Nichtbesitz des Passes“ fehlerhaft bejaht.

2. Das Gericht hat dann noch einen weiteren Punkt entschieden – eine Frage, die man sich stellen kann, wenn man einmal von der eben beschriebenen Passbesitzproblematik absieht. Das Gericht hat angenommen, die ausländische Person besitze keinen Pass. Dann muss die Abschiebung gerade wegen des Nichtbesitzes des Passes scheitern (siehe oben (a.)).

Man erkennt bereits am Wortlaut der Norm, dass das Gesetz hier eine strenge Kausalität fordert. Nur dann, wenn eine ausländische Person nicht auch aus anderen Gründen nicht abgeschoben werden kann, darf man eine Duldung light erteilen. Gibt es andere mögliche Hinderungsgründe, ist die Duldung light fehlerhaft. Man hat Anspruch auf eine einfache Duldung, die rechtlich wesentlich günstiger ist.

Das Verwaltungsgericht Weimar beschäftigte sich deshalb mit dem ganz konkreten Rückführungsübereinkommen, das in der Sache gilt. Es ist das Abkommen zwischen der EU und der Türkei über die Rückführung türkischer Staatsangehöriger. Dort ist geregelt, dass deutsche Behörden türkische Staatsangehörige auch ohne einen Pass abschieben können. Es reicht eine ID-Card oder ein sonstiges Identitätsdokument. Ein solches hatte die betreffende Person in dem Verfahren aber unstreitig in Besitz. Das Gericht zeigte auf, dass die Erteilung der Duldung light auch aus diesem Grunde scheitert.

Die Erteilung einer Duldung light ist oft mit Fehlern behaftet. Man erkennt dies an dieser Gerichtsentscheidung des VG Weimar sehr gut. Gerade Menschen aus der Türkei wird man mit dieser Entscheidung und mit Blick auf das Rückführungsübereinkommen kaum mehr eine Duldung light wirksam ausstellen können. Ein Vorgehen gegen diese Duldungsform ist stets dringend angezeigt, denn prekärer als mit einer Duldung light kann ein Aufenthalt nicht sein. Findet man einen Fehler, kann man auch für zurückliegende Zeiten die Aufhebung des negativen Zusatzes („light“) bei der Ausländerbehörde beantragen. Und da die Ausländerbehörde diese Duldung oft ohne einen Bescheid und ohne eine Rechtsbehelfsbelehrung ausgeben, kann man in der Regel auch ein volles Jahr lang gerichtlichen Rechtsschutz suchen.

Dr. Christian Scheibenhof am Schreibtisch