Wir können Zuwanderung!
Interview mit Juan Cantos zur Integration von internationalen Fach- und Arbeitskräften
Die Beschäftigung von ausländischem Personal ist ein wichtiger Aspekt bei der Sicherung des Fachkräftebedarfs in der Thüringer Wirtschaft. Mit ihrer Dienstleistung unterstützt die IHK ihre Mitgliedsunternehmen auf der Suche nach ausländischem Personal und begleitet Geflüchtete, die in Thüringen sind, bei der Arbeitsmarktintegration. Die IHK Erfurt ist einer von 28 Kooperationspartnern von BLEIBdran+. Im Interview gibt Juan Cantos vom „Service Internationale Fach- und Arbeitskräfte“ der IHK Erfurt Einblicke in die Arbeit des vierköpfigen Teams.
BLEIBdran+: Wie unterstützt die IHK Erfurt Geflüchtete bei der Ausbildungsaufnahme?
Juan Cantos: Wir unterstützen Geflüchtete durch individuelle Beratung, um ihnen bei der Orientierung im deutschen Ausbildungssystem zu helfen. Wir zeigen ihnen Möglichkeiten der beruflichen Orientierung auf, informieren zu Fördermöglichkeiten und Unterstützungsleistungen während der Ausbildung, wie z. B. Sprachkurse, und vermitteln Kontakte zu Unternehmen.
Dabei verweisen wir auch auf unsere Datenbank für Lehrstellen und Praktikumsplätze:
https://meine-ausbildung-in-deutschland.de/
Außerdem unterstützen wir bei der Anerkennung von ausländischen Qualifikationen und stellen Informationsmaterialien zur Verfügung, die das „NETZWERK Unternehmen integrieren Flüchtlinge“ herausgibt. Mit dieser von der IHK-Organisation ins Leben gerufenen Initiative arbeiten wir eng zusammen.
BLEIBdran+: Beraten Sie auch nach abgeschlossener Ausbildung zu Weiterqualifizierungen?
Juan Cantos: Ja, wir beraten Absolvent*innen jeglicher Nationalität bereits während ihrer Ausbildung und danach zu möglichen Qualifizierungen gemäß Deutschem Qualifikationsrahmen (DQR). Dazu gehören Aufstiegsfortbildungen wie der Meister, Fachwirt oder Betriebswirt, aber auch Spezialisierungen in bestimmten Fachgebieten. Unser Ziel ist es, lebenslanges Lernen zu fördern und Perspektiven für die berufliche Weiterentwicklung aufzuzeigen.
BLEIBdran+: Welche Erfahrungen machen Sie aktuell mit Teilzeitausbildungen?
Juan Cantos: Teilzeitausbildungen werden immer wichtiger, vor allem für Menschen mit familiären Verpflichtungen oder besonderen Lebensumständen. Das trifft mitunter auch auf Geflüchtete zu, die im Erwachsenenalter eine Ausbildung in unserer Region starten.
Viele Unternehmen reagieren flexibel auf die Wünsche nach Teilzeitausbildung. Die Erfahrungen sind insgesamt positiv, wobei gute Planung und Kommunikation zwischen Auszubildenden und Betrieb entscheidend sind, um die Ausbildung erfolgreich zu gestalten.
BLEIBdran+: In welchen Branchen und Berufen haben angehende Auszubildende in Thüringen besonders gute Chancen?
Juan Cantos: In Thüringen bieten viele IHK-Berufe ausgezeichnete Perspektiven. Besonders gefragt sind technische Berufe wie Mechatroniker*in, Elektroniker*in oder Industriemechaniker*in. Auch im Handel, in der Logistik – z. B. Fachkraft für Lagerlogistik – und in kaufmännischen Berufen wie Industriekaufmann/-frau oder Kaufmann/-frau im Einzelhandel gibt es viele Ausbildungsplatzangebote.
Ein Blick auf www.ihk.de/erfurt/lehrstelle lohnt sich. Dort sind Ausbildungsstellen und Informationen aller Branchen abrufbar.
BLEIBdran+: Was empfehlen Sie Menschen, die noch nicht wissen, in welchem Beruf sie eine Ausbildung machen wollen?
Juan Cantos: Wir empfehlen Interessent*innen, Praktika oder Ferienjobs in verschiedenen Bereichen zu machen, um herauszufinden, welche Berufe sie interessieren und welche Fähigkeiten sie dafür mitbringen sollten. Außerdem bieten wir Berufsorientierungsworkshops und Beratungsgespräche an.
Unsere Kampagne „Jetzt#könnenlernen“ bietet online Einblicke in zahlreiche Berufsfelder. (https://www.ausbildung-macht-mehr-aus-uns.de/)
Auf TikTok stellen zum Beispiel Auszubildende ihre Tätigkeiten vor. Zudem können Unentschlossene auf dieser Plattform einen Test durchführen, der ihnen hilft, ihre Talente zu entdecken.
Aber nicht nur das Internet kann bei der Berufsorientierung behilflich sein. Wir empfehlen auch den Besuch von lokalen Messen, um mit Ausbildungsbetrieben persönlich in Kontakt zu kommen.
BLEIBdran+: Was sind Ihrer Erfahrung nach die häufigsten Gründe für Ausbildungsabbrüche?
Juan Cantos: Oftmals sind unrealistische Erwartungen an den Beruf, eine mangelnde Ausbildungsstartkompetenz oder private Herausforderungen der Grund, eine Ausbildung nicht abzuschließen. Sprachbarrieren und fehlende Vorbereitung auf die Anforderungen der Ausbildung können bei Geflüchteten ebenso eine Rolle spielen. Auch Konflikte zwischen Auszubildenden und Ausbilder*innen oder fehlende Perspektiven nach der Lehrzeit können zu Abbrüchen führen.
BLEIBdran+: Welche strukturellen Hürden beim Zugang zum Arbeitsmarkt haben Geflüchtete?
Juan Cantos: Die Schwierigkeiten sind sehr unterschiedlich und je nach Fall zu differenzieren. Bei der Anerkennung von ausländischen Abschlüssen oder Qualifikationen gibt es oftmals lange Bearbeitungszeiten aufseiten der anerkennenden Stellen, was den Beginn einer Tätigkeit verzögern kann. Umso wichtiger ist es für die Geflüchteten, sich vor dem Anerkennungsverfahren zu informieren. Wir unterstützen die Migrant*innen bei der Zusammenstellung der Antragsunterlagen. Wenn Dokumente vollständig und korrekt eingereicht werden, kann dies das Verfahren bei den anerkennenden Stellen verkürzen.
Sprachkenntnisse und bürokratische Prozesse können ebenfalls Hürden darstellen, vor allem bei Berufen mit hohen Anforderungen im theoretischen Bereich, wie z. B. Industriekaufmann/-frau. Wir empfehlen, die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge offerierten Job-Berufssprachkurse wahrzunehmen, die Beschäftigten einen berufsbezogenen Spracherwerb bieten.
Das Projekt zur „Förderung der beruflichen Integration ausländischer Fach- und Arbeitskräfte (FIF)“ – ein Gemeinschaftsprojekt der Thüringer Wirtschaftskammern – bietet Hilfestellung bei aufenthaltsrechtlichen Fragen und arbeitet dabei mit den lokalen Ausländerbehörden zusammen. Darüber hinaus unterstützen wir Menschen mit Fluchthintergrund beim Bewerbungsprozess.
BLEIBdran+: Haben Sie Ideen, wie diese Hürden abgebaut werden können?
Juan Cantos: Der spürbare Abbau von bürokratischen Hemmnissen würde noch mehr Arbeitgeber*innen motivieren, Migrant*innen einzustellen. Bislang zögern Firmen, weil sie den Mehraufwand bei der Beschäftigung von ausländischen Arbeitskräften scheuen.
Ein Ansatz wäre, die Anerkennungsverfahren zu vereinfachen und besser zugänglich zu ma-chen. Ein weiteres Beispiel ist die nach wie vor fehlende Anerkennung ausländischer Fahrerlaubnisse. Mit dem Verlust der Gültigkeit der Fahrerlaubnis nach sechs Monaten aufgrund einer EU-Regelung wird die Mobilität und Einsatzfähigkeit von Zugewanderten deutlich eingeschränkt. Im Rahmen der Interessenvertretung für unsere Mitgliedsunternehmen fordern wir daher von den politischen Entscheider*innen die Errichtung einer zentralen Ausländerbehörde in Thüringen.
Für eine nachhaltige Integration von Migrant*innen braucht es außerdem eine Willkommenskultur im Freistaat, bei der neben der Gesellschaft auch die Politik gefordert ist. Hier regen wir bei der Landesregierung ein deutliches Bekenntnis zu Weltoffenheit und die Bewerbung des lebenswerten Standortes Thüringen bei potenziellen Bewerber*innen im In- und Ausland an.